Abgeschlossene Projekte
Leitung des Projekts:
- Dr. Abbas Poya
MitarbeiterInnen:
- Farid Suleiman (M.A.)
Projektbeschreibung:
In der Regel wird Theologie, auch die islamische Theologie, als ein Wissensgebiet angesehen, in dem man sich mit überzeitlich gültigen Glaubensfragen beschäftigt. Nach einer genauen Betrachtung ist allerdings festzustellen, dass die Genese der (islamischen) Theologie einerseits mit der Entwicklung anderer Wissensbereiche wie Philosophie, Mystik, Naturwissenschaften und Jurisprudenz und andererseits mit den gesellschaftspolitischen Veränderungen einhergeht – ein Grund dafür, warum es so viele divergente theologische Auffassungen auch im Islam gegeben hat bzw. gibt.
Die Ausgangsüberlegung bei diesem Forschungsvorhaben war die folgende Beobachtung: In den traditionellen theologischen Debatten, ganz gleich wer und mit welcher schulischen Prägung spricht, nimmt die negativ formulierte Frage, „wer gehört nicht zum Islam“ eine zentrale Stelle ein. Man versucht, den Rahmen eines islamischen Glaubens nach eigener Vorstellung klar zu definieren und danach alle anderen, die diese Glaubensmerkmale nicht vorweisen können, als „Ungläubige“ (kāfir), „Apostat“ (murtadd) oder „Frevler“ (fāsiq) zu bestimmen. Wir wollten dieses zentrale theologische Anliegen positiv formulieren und fragen, „wer gehört zum Islam?“ Dieser Perspektivenwechsel bei der Fragestellung ist erforderlich angesichts historischer Tatsache und gegenwärtiger Wirklichkeit, dass es unzählige theologische Vorstellungen gibt, die sich alle aus eigenem Selbstverständnis heraus als islamisch definieren. Der erst Schritt zu einer islamischen Theologie, die genug Platz für die Pluralität bietet, ist, dass man möglichst unterschiedliche theologische Perspektive zu Wort kommen lässt.
Dieser Wechsel der Erzählperspektive wurde in der Forschungsgruppe „Norm, Normativität und Normenwandel“ in kleinen Kreisen diskutiert und im Rahmen einer Ringvorlesung und eines Workshops mit den anderen KollegInnen debattiert. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung wurde schließlich 2017 im folgenden Sammelband vorgestellt:
Abbas Poya & Farid Suleiman (ed.): Unity and Diversity in Contemporary Muslim Thought, Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne, 2017.
Leitung des Projekts: PD Dr. Abbas Poya
Laufzeit: 2017-2021
Projektbeschreibung: Ijtihad ist ein zentraler Begriff der islamischen Rechtstheorie (usul al-fiqh) und beschreibt den Prozess der eigenständigen Meinungsbildung eines Gelehrten bei der Rechtsfindung. Dabei hat ein Rechtsgelehrter die Möglichkeit, aufgrund einer anderen Auslegung der Koran-, und Hadithtexte oder mit Bezug auf das Gemeinwohl (maslaha) und Billigkeitsprinzip (istihsan), oder anderer methodischen Ansätze eine eigene Meinung zu vertreten. Ijtihad ist quasi die Ursache und der Legitimationsgrund zugleich für die diversen Rechtsschulen und -praktiken im Islam. Ein anderer Aspekt des Begriffs Ijtihad, der von einigen zeitgenössischen muslimischen Denkern diskutiert wird, ist die Praxis des Ijtihad im Bereich der Glaubensfragen (ʿaqaid) bzw. theologischen Problemen (kalam). Auf diese Weise legitimieren sie Diversität theologischer, konfessioneller und weltanschaulicher Ansichten. Inzwischen hat sich in den innermuslimischen Diskursen ein eigenes Genre (ijtihad al-kalami, „theologischer ijtihad“) etabliert, zu dem bereits einige Werke publiziert wurden. Die Frage, die sich nun aufdrängt, ist, ob die Praxis des Ijtihad in der Theologie eine geistige Haltung fortsetzt, die bereits im Islam existierte oder ob sie eine Antwort auf die modernen Herausforderungen wie die Toleranz, Meinungs- und Religionsfreiheit ist. Das Forschungsprojekt soll meine bisherigen rechtstheoretischen Untersuchungen zum Thema Ijtihad ergänzen und dem theologischen Aspekt des Begriffs nachgehen. Das Forschungsergebnis wird auch ein Beitrag sein zu der politisch wie gesellschaftlich wichtigen Frage der muslimischen Haltung gegenüber anderen islamischen wie auch nichtislamischen Überzeugungen. Eine Frage, die angesichts jüngster akademischer Entwicklungen in Deutschland (Etablierung islamisch-theologischer Institute in Deutschland) immer dringender diskutiert werden muss.